"Ich bin für eine Kunst, die nicht einfach auf
ihrem Hintern im Museum sitzt ... , die an- und ausgezogen wird wie eine
Hose ... , die Löcher bekommt wie Socken ... Ich bin für eine
Kunst, mit der man in der Nase bohren kann."
Die Zeit ist vorbei, in der Claes Oldenburg mit solchen Sätzen die
Popularisierung der Kunst forcierte. Die Bindung an die Trivialität
hat vorübergehend befreiend gewirkt, im Ganzen aber zur kaum - nützlichen
Verwirrung beigetragen. Kratzen an den Fundamenten stellt klar, ob sie
entbehrlich sind oder nicht. Deutlich wird: die Pop Artisten marschierten
lange Strecken den gleichen Weg mit großem Schlagloch am Ende wie
die "geheimen Verführer", die uns den Konsum nahelegen,
und die mit ihren populär gemachten Produkten den Pop Artisten das
Hauptmotiv für die visuelle Bewußtmachung einer flimmernden
Oberfläche lieferten. Kunst zum schnellen Verdauen hat bestenfalls
die beachtliche Kreativität einer Coca-Werbung und ist der Kommerzialisierung
preisgegeben. Sich als Maler am Konsumenten orientieren, heißt eine
Kühlschrankgesellschaft untermauern. Kunst für Zielgruppen und
Reichweiten beinhaltet zwangsläufig Nivellierung. Das als Aufgabe?
Komplize dieser Plastikwelt? Genau um das geht es nicht! Kunst, die ihre
inhaltlichen Vorstellungen nicht einer zwingenden, über den Inhalt
zu wertenden Form einordnet, stolpert, bleibt im Anekdotischen hängen
und ist morgen von der Bühne abgetreten.
Oldenburgs hohe Qualität zeigt sich, wo er nicht nur ein Knie vergrößert,
das - trotz Dimension und großem Aufmerksamkeitswert - Knie bleibt;
er ist da überzeugend, wo das Motiv nicht die einzige Rolle spielt,
wo er weniger spekuliert, wo er das Triviale transformiert. Das übrige
ist eine gut verkaufte Loslösung von den vertrauten Maximen der Kunst
und irritiert die Netzhaut für einen flüchtigen Moment. Warhol,
jeder kann seine Campbell-Dosen zurück ins Regal eines Kaufladens
stellen und eingereiht unter seinesgleichen wird das Weihestück für
einsfünfzig den Käufer finden, der seine Suppe kochen will.
Eine Tomatendose als Kultgegenstand ist kein Kavaliersdelikt! Wenn schon
ein profaner Gegenstand auf' s Podest soll, dann muß Marcel Duchamps
URINOIR aus dem Jahre 1915 darauf. Das war Vorwegnahme der Attitüde,
wieder bei Nichts anfangen zu wollen. Dieser Versuch - für viele
eine Anmaßung - bekommt durch Warhols Wiederholung keine neue Perspektive
und wird widerlegt durch das, was seit 1915 trotz des Manifestes "Die
Kunst ist tot" gemacht worden ist. Die Urheber dieser Umstülpung
haben Schlagzeilen gemacht und neue Aktivitäten ausgelöst -
für oder gegen diese These. Dinge auf den Kopf stellen, kann ein
nützlicher Vorgang sein, der vieles klarer erscheinen läßt
als es ist.
Gags, Klapperatismen, experimentelle Hinweise, die Andeutungen für
Möglichkeiten von Kunst bleiben, Nachbarschaften zum Design, reichen
nicht aus, um dem Anspruch an die Kunst zu genügen. Literarische
Bezüge auch nicht. Maler haben ihre eigene Sprache.
"Rot ist ein umfassenderer Wert als das Rot an einer
rotgemalten Rose", so Baumeister. Besinnung auf die elementaren Mittel
der Malerei ist nötig: Form, Linie, Farbe haben ihre Eigengesetzlichkeit
und sind nicht angewiesen auf Leihgaben anderer Künste und angewandter
Kunst, auf surrealistisches Surrogat, das nach Abzug des Literarischen
kein Geheimnis mehr hat. Ebenso in Frage steht der heutige Vasarely, der
formale Behauptungen aufstellt, sie aber zum Dekor, zum Spielzeug werden
läßt, als Maler die Hälfte seiner Sprache vergißt,
das Alphabet auf 12 Buchstaben reduziert. Reduzierung ja, aber keine Reduzierung,
die Fragment wird und dieses als Ganzes ausgibt. Vasarely besitzt Rang,
wo die Perfektion ihn nicht glatt und arm werden läßt. Nun
aber hat er im Möbelladen eine Couch ins bessere Licht gerückt,
eine Gardine verändert. Den Atem von Mondrian hat er nicht, der ein
halbes Jahrhundert uns seine Proportionen aufzwingt - der unsere Häuser,
Städte änderte, den Tisch aus der Mitte des Zimmers, mit der
Lampe darüber, in eine Ecke schob.
Die Kraft einer visuellen Aussage zeigt sich darin, wie viel sie an die
angewandte Kunst abzugeben vermag. Plakate, Bühnenbilder ergeben
sich aus den Formulierungen der Maler. Die angewandten Künste, die
Macher, erkennen oder wissen fast nie die Zusammenhänge. Sie nehmen,
ohne zu wissen (oder wissen zu wollen), woher sie nehmen - auch wenn sie
im Zimmer nebenan wohnen. Auch die Pop-Artisten hatten Kraft, gaben ab.
Aber sie leisteten gleichzeitig Schützenhilfe dem Wachstum der Banalität
um jeden Preis. Sie waren beteiligt an dem uns umklammernden Konsumgüter-Fetischismus.
Sie schrieben Ketchup auf ihre Fahne - ein paar Jahre, wie das bei verderblicher
Ware so ist. Der Stoff - um mit Schiller zu reden - wurde selten durch
die Form vertilgt. Schiller: "Darin besteht also das eigentliche
Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt;
und je imposanter, anmaßender, verführerischer der Stoff an
sich selbst ist, je eigenmächtiger derselbe mit seiner Wirkung sich
vordrängt, oder je mehr der Betrachter geneigt ist, sich unmittelbar
mit dem Stoff einzulassen, desto triumphierender ist die Kunst, welche
jenen (den Stoff) zurückzwingt und über diesen die Herrschaft
behauptet." Die Aufweichung dieser bis heute nicht umzustoßenden
Definition von Kunst durch neu hinzugenommene Ausdrucksmittel vermag nicht,
diese Prinzipien zu ersetzen. Nur wenn neue Mittel sich dieser Definition
unterordnen, können sie tauglich sein, Kunst in Bewegung zu bringen.
Wenn sie ausscheren, sich verselbständigen, können sie, außer
Irritierung, nichts bewirken.
Die Concept-Art ist Ideen-Skizze. Sie erzeugt schillernde Prozesse, die
abgestandene Klischees abräumen. Verführerische Projekte - die
Realisation wird nicht gewertet - Denkanstöße. Die Autonomie
des Bildes ist nicht gefragt.
Die Minimal-Art ist faszinierende Bewußtmachung elementarer Details,
Hinweis auf alles, was dazu taugt, Kunst zu werden, Objektivierung unter
Vernachlässigung des subjektiven Anteils, eindringliche Demonstration,
die auf Null schaltet. Beide, Minimal-Art und Concept-Art stehen durch
ihren Anteil an reinen bildnerischen Mitteln weit über den meisten
Strömungen unserer Zeit. Die Minimal-Art ist Start-Marke, frei von
Pathos, beschränkt durch den Versuch, sich auf die Wirklichkeit zu
beschränken. Hier bleibt sie in ihrem vielversprechenden Ansatz stecken.
Nur die reine Wirklichkeit sei Wahrheit - solcher Unsinn ist verbreitet.
Wenn Herbert Marcuse heute sagt, Transzendenz im Sinne eines Hinausgehens
über die Wirklichkeit sei wesentliches Merkmal jeglicher Kunst, so
ist das eine späte Erkenntnis. Die Fotorealisten pfuschen den Gebrauchsgrafikern
ins Handwerk. Ihre manuelle - besser technoide - Fingerfertigkeit feiert
seltsame Feste - ein pervertierter Vorgang. Eine Marktlücke wird
gestopft. Anpassung an die Realität, gekoppelt mit Anpassung an die
Banalität.
Kurzfristig läßt sich vieles behaupten, umso eher als sich
für die Kommunikationsmittel der Werbeindustrie etwas davon abschneiden
läßt. Sie muß am laufenden Band Hingucker produzieren,
die zwangsläufig der Attraktivität ausgeliefert, Co-Partner
alles Spekulativen sind. Ebenso täuscht die Journaille, die dem Zwang
unterliegt, aktuell, Blickfang zu sein. Attraktive Neuerungen ohne Zeitabstand
richtig zu werten, ist selbst von ernsthaften Publikumsmedien sicher schwer
zu verlangen. Neue tragende Ideen entziehen sich leicht einer spontanen
Einsicht. Ohne Transformation der Wirklichkeit - ohne eine Kunst, die
dies beinhaltet - ersticken wir in Sachlichkeit, sitzen wir auf dem Trocknen.
Ein Haus ist schön - ein Haus ist nicht schön. Beide haben die
gleichen Fenster, Türen, beide ein Dach. Und doch entscheiden wir:
das eine ist schön - das andere nicht. Hier verbirgt sich das Geheimnis,
das Abenteuer, Proportionen zum uns entsprechenden Klang zu bringen. Hier
entscheidet sich der Rang, die Wirkung, die den von Künstlern entwickelten
Proportionen zukommt, die ein Maßstab für uns werden. Die große
Macht des Mondrian'schen Formenkanons ist durch die Mixtur der Verdünner
geschwächt, durch die Zeit angeschlagen, und läßt nostalgische
Reprisen auftauchen, die die verwässerten Ideen ersetzen sollen.
Aber Reprisen sind wenig tauglich, aus dem Dilemma herauszuführen.
Wir brauchen ein neues Maß.
Unsere Situation: Massenangebote divergierender Äußerungen.
Eine Welt aus Plastik, entstanden aus der Verwirrung, um ökonomischer,
rationeller Vorteile willen. Vorbeigezielt wurde selbst an den Maximen
von Marcuse und Adorno, den Vätern der jungen Revolte - deprimierendes
Resultat eines bereits historisch gewordenen Ansatzes. Vollgepumpt sind
wir mit sich widersprechenden Programmen, Doktrinen, Zwängen. Die
Neurosen blühen -Altbauwohnungen gesucht! Tastversuche von uns in
allen Ecken. Tomatendosen, Wäscheklammern, Presley-Plakat mit Rahmen
signalisieren den Kunstabfall, das Schlagloch, aus dem wir raus müssen.
Es reicht nicht, die Erfindungen der Ingenieure zu übernehmen. Sie
präsentieren Zweckergebnisse. Wenn Transformation nicht verlangt
wird, sind die Erfinder die Größten. Hier zeigt sich das große
Mißverständnis. Den Ingenieuren ein Kompliment- sie täuschen
nicht Kunst vor. Das tun meistens die, die gegen Kunst sturmlaufen und
ihre Ersatzkunst wie Kunst gehandhabt wissen wollen; die Anleihen bei
ihnen machen und mit dieser meist verdünnten "reinen Wirklichkeit"
(dann doch als Kunst deklariert) den "Markt" verstopfen.
Walther de Maria, Michael Heizer, Jan Dibbets, weiten unser
Sehfeld aus auf das, was wir bei den Japanern übersehen haben. Diese
Bewußtmachungsprozesse von hohem Rang sind entscheidende Orientierungspunkte:
Zu nah den Ingenieuren verrennen wir uns, ohne Chance, aus der Abhängigkeit
der Technik freizukommen. Es gibt Flugzeugmotoren, es gibt Raffinerien!
Wollen wir die Priorität der technischen Entdeckungen noch deutlicher?
Flavins Neonröhren sind eine Bewußtmachung der Erfindung der
Neonröhren. Schön, aber warum soviel Bescheidenheit? Kunst ist
eigenständig. Die Bewußtmachung vorgefundener Ergebnisse, vor
allem der uns bedrängenden technischen Ergebnisse, ist eine Sache
für sich. Ihre Verwechslung mit Kunst ist die große Fehleinschätzung.
Der zeitliche Abstand wird das deutlich machen.
André Breton schrieb an die Wand: "Elephanten sind ansteckend"
- Konsumfetischisten, Ingenieure, Arrangeure sind es auch! Vergessen wir
Trivialität, die Macher, Dekorateure, Schöner Wohnen. Zeit,
die Bürogemeinschaft Kunst + Werbe G.m.b.H. & Co. K. G. aufzukündigen.
Eduard Micus
(2) MICUS, Katalog Galerie Munro, Hamburg, 1977; (ohne Seitenangaben)
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