Franz Joseph van der Grinten: Prüfstein der Notwendigkeit: |
Eduard Micus ist 1925 in Höxter an der Weser geboren
worden. Nachdem ihn 1943/44, während eines langen Krankenlagers,
Reinhard Schmidhagen in die Malerei eingeführt hatte, ging er 1948
an die Kunstakademie in Stuttgart und war dort bis 1952 Schüler von
Willi Baumeister. Aus allen Bindungen in Gruppen und Zusammenhängen
zog er sich 1972 auf die Baleareninsel Ibiza zurück; er lebt dort
in Can Portas/Jesus, inmitten der Kargheit einer archaischen Landschaft
zwischen tausendjährigen Bäumen in einem weilßen Haus
von zeitlos überkommener, maurischer Bauart. Keine Flucht aus der
Zeit, eher ein Gang zu den Quellen und ein Eingehen in den größeren,
weiter gespannten Atem der waltenden Welt. Prüfstein der Notwendigkeit:
Bilder, so organisch wie ein Baum. Inneres Wachstum, Wachstum von innen
nach außen, Wachstum aus dem Geist in die Sichtbarkeit, vollzogen
in dem Bewußtsein, das, was man tut, sei exemplarisch für das,
was geschieht. Geschichte bezieht ihre Spannung aus dem, was geschichtslos
da ist, wenn das, was sich ereignet, sich volIzieht. Keine geschichtslose
Malerei freilich ist die, die Eduard Micus betreibt, sondern eine heutige,
auf den Tag bestimmte, vom Tag in ihrer Erscheinung mit gefärbte,
die sich denn doch in das Schwingen eines welt größeren und
viel weitergefaßten Gezeitenschlages einbezogen weiß. Bräuchte
es ein Weltmodell, so ist dies in den Bildern von Eduard Micus dual angelegt
und erfahren. Auch als solches ist es zwar vielleicht nicht vom Kitzel
der Aktuatitäten geschüttelt, aber es geht aufs Ganze der Existenz.
Das ist wohl auch der Grund, warum es im abendländischen Kulturkreis
kaum je so offen zutage trat, sondern sich eher außerhalb der eigentlichen
Information im Gegensatz etwa von Schwarz und Weiß, in Licht und
Schatten und in der relativen Unverträglichkeit scharfer Farbkontraste
zu erkennen gegeben hat. Die scharfen Kontraste sind die Sache von Eduard
Micus nicht; das Grundsätzliche beansprucht auch und vor allem Schichten
jenseits der einfachen Sichtbarkeit, wenn es denn grundsätzlich sein
soll und also von allgemeinerer Gültigkeit. Das duale Prinzip - der
praktischen Logik so fremd, weil alles Raisonnement weit vor dem Hinlangen
an die Grenzen seiner Reichweite stößt -, es hat sein geprägtes
Zeichen von Urzeiten her im fernen Osten: Yang und Yin in ihrer Umschlingung
die Einheit des Seins bildend aus den Gegensätzen, die einander bedingen
und ohne einander so wenig sein könnten, wie es das Ganze vermag;
die weit ausschwingende Doppelkurve, durch die der Kreis in eine schwarze
und eine weiße Zone sich teilt, die schwarze aber von einem weißen,
die weiße von einem schwarzen Zentrum beherrscht wird, welche beide
die Dynamik des Umeinanderkreisens eher fördern als hemmen. Bild
der Polarität der Welt: männlich-weiblich, himmlisch-irdisch,
taghaft-nächtlich; Formel für alles. J. E. Behrendt (in: Nada
Brahma, Die Welt ist Klang, 1983) setzt es gleich mit dem Tonverhältnis
der Oktav, des harmonischsten der Akkorde, das der linearen Teilung von
eins durch zwei entspricht. Es ist diese Teilung, die, unbeschadet unterschiedlicher
Größe, die innere Proportion der Bilder von Eduard Micus bestimmt.
Sie tut es intuitiv, ohne spekulativen Vorbedacht, seit 1952, und es spricht
für die geistige Tragfähigkeit einer Grundentscheidung, wenn
sie sich bei großer Fruchtbarkeit nicht abnutzt, sondern eine Frische
behält, wie sie Leben überhaupt in seiner Erneuerung kundgibt.
Senkrechte Mittelteilung also, zwei Hälften durch sie markiert, aber
nicht geschieden. Stets ist der Kontrast ein relativer, stets auch ist
er nicht unvermittelt: Die Grenze, sei sie Strich, Knick, Naht, Kleberand,
bloßer Farbsprung oder Sprung von der Materie ins räumlich
Offene, ist vielmehr gewissermaßen perforiert: porös, durchlässig;
sie gibt der einen Seite Zugang zur anderen; sie verwischt sich nicht
wirklich, aber erweist sich als Zone wechselseitiger Beeindruckbarkeit
und Empfänglichkeit. Nie ist ja etwas ganz das eine oder das andere,
stets das eine fürs andere mindestens so etwas wie ein Ferment. Relative
Ruhe, relative Dramatik; relative Lichtheit, relatives Dunkel; relative
Leere, relatives Gefülltsein; relative Monochromie, relativer Farbreichtum:
nichts zu sehr, und das eine nicht ohne das andere. Der Gegensatz steigert;
die Gabe der lntensität wird in wechselseitigem Austausch beiden
Hälften, zwei Ganzen in ihrer existentiellen Vereinigung zu einem
umfassend Größeren, zuteil. Das ist nicht Sache äußerer
Größe; auch dies ist relativ. Raumfüllenden, raumgreifenden,
raumumfassenden Bildern stehen, ohne daß diese damit zu einem beilaufigen
Parallelprogramm würden, kleinste gegenüber, dem in langer Bemühung
allmählich sich Formierenden das Improvisierte; aber was der Augenblick
gebiert, hat keine geringere lnkubationszeit zur Voraussetzung; alles
ist Produkt elnes permanenten Arbeitsprozesses. Eines gelassenen, eines,
der sich am unbeirrten Wachstum der alten Bäume onientiert: Alles
wird Frucht. (6) Micus Katalog, Overbeck-Gesellschaft St. Petri Lübeck,1989;
S. 178 - 180
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