Kunst gesellschaftsverändernd! |
Diese Forderung spiegelt das verkrampfte Bemühen und die Koketterie vieler sich streitender Kunstwerker, sich durch diese auf den Schild gehobene Maxime in eine aktuelle Position zu bringen. Kunst als gesellschaftsverändernden Faktor einzuplanen und zu fordern, ist eine Fehleinschätzung. Kunst hat immer die Umwelt beeinflußt, geformt, verändert. Wer die Kunst als Zweckmittel für ideologische Forderungen beansprucht, traut ihr spontane Wirksamkeit zu, die sie nicht hat und nie hatte. Hier wird die Kunst verstanden als Plakat, als Aussage zu Tagesfragen. Tagespolitik ist nur verständlich zu machen mit vertrautem Vokabular, also mit Formulierungen, die von allen kapiert werden. Wir die Produzenten, haben die Auflage, wenn wir glaubhaft bleiben wollen, uns von Zufälligkeiten, Gefälligkeiten, Vertrautem freizumachen - die Form zu finden! Sie wird die Aussage unserer Gedanken sein und Wirkung zeigen. Die Form bildet den Inhalt. Neue Inhalte ohne neue Form haben keine Glaubwürdigkeit und keine Auswirkung. Bei Picassos Guernica wird der aktuelle Inhalt glaubhaft durch die Form. Das Motiv allein bleibt Illustration. Tausend alte Meister mit gleichem Motiv verkümmern in den Funden der Museen, nur wenige erregen unsere Bewunderung und sind wichtig. Das sind wiederum jene, die durch ihre Form den Inhalt glaubhaft zu machen verstanden. Die anderen sind wie die Heldenmonumente auf großem Sockel, Klischee, Tagespolitik, verständlich für alle, aber Eintagsfliegen, Yellow Press, Regenbogenkunst, Ausbeutung des Visuellen mit dem Aussagewert einer Waschmittelreklame. So kurzfristig darf man Kunst nicht vor einen Wagen spannen. Damit sollte man nicht Künstler beauftragen, sondern Werbeagenturen. Kunst läßt sich nicht derartig manipulieren. Sie wird ihre Aussage für ihre Zeit zu ihrer Zeit machen, aus sich heraus, wie sie es immer getan hat. Abstrakte oder gegenständliche Aussagen sind kein Kriterium für oder gegen die Stärke der Wirkung eines Bildes nach außen. Mondrian zum Beispiel hat unsere Umwelt in einem riesigen Ausmaß beeinflußt. Künstler sind Transformer, Vorspieler, die die Antenne haben, spezifische Aspekte aus der akuten Zeitsituation und den sich anbahnenden Zielsetzungen zu empfangen und umzusetzen mit den jeweils gegebenen Ausdrucksmitteln einer Kunstform; mal laut, mal weniger laut vernehmbar für einen so großen Kreis wie die Empfangsbreite der Empfänger es zuläßt. Es geht darum, diese Empfangsbreite auszubauen! Das ist die Aufgabe der Gesellschaft, nicht der Künstler. Kunst kann sich nicht zum Publikum herunterneigen. Nur Bewußtseinsbildung kann den Abstand zwischen beiden verringern und somit einen größeren Einfluß der Kunst bewirken. Das ist der zu fordernde Weg. Micus (1) Micus, Katalog, Städt. Kunstsammlung Ludwigshafen, 1971; (ohne Seitenangaben)
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