Auszüge aus einem Gespräch José Gallero - Eduard Micus 1983 |
Ich ging nach Can Portas, dem Haus von Micus und Ingrid bei Jesus in Ibiza. Micus war dabei zu schreiben; er hatte ein Stück Papier von mindestens 2 m Länge oder mehr. Was schreiben Sie? Die Leute wollen immer wissen, was ein Maler denkt. Es wird so viel Kompliziertes darüber geschrieben. Ich glaube, es ist gar nicht so kompliziert zu sagen, was ein Maler denkt, und deshalb versuche ich selbst zu schreiben. Wenn man etwas formuliert, muß man sich über verschwommene Dinge klar werden. In der Küche des Hauses ist ein kleiner Vogelkäfig mit zwei Vögeln. Die Vögel sind aus Filz und sitzen außen an den Gitterstäben des Käfigs. Wollen Sie in Ibiza bleiben? So weit ich denken kann, bleibe ich hier - aber vielleicht denke ich morgen anders. Ich möchte weder von Ibiza noch von irgendeinem anderen Ort abhängig sein. Ich möchte mir erhalten, auch weggehen zu können. Was malen Sie jetzt? In meinen Bildern wird immer etwas von der Trauer sein, die ich empfinde über das, was sich hier und überall in der Welt verändert: Die Unzufriedenheit der Menschen, die Kluft zwischen den Jungen und Alten, die Probleme zwischen den verschiedenen Ländern, die Exzesse der Industrialisierung, die geringen Zukunftsaussichten, die allgemeine Resignation. Natürlich stimulieren mich auch diese negativen Aspekte und sind in meinen Bildern, aber sie müssen eine transformierte Form bekommen; wenn ich sie nur wiederhole, sind es schlechte Bilder. Diese Auseinandersetzung bedrängt mich sehr, darum sind meine Bilder heute unruhiger als früher. Was stimuliert Sie noch zum malen? Zum Beispiel, wenn ich hier in meinem Garten sitze - die Feigenbäume, die Mandelbäume, das alte Ibiza, das archaische. Das neue Ibiza interessiert mich überhaupt nicht. Es sind die Jahrtausende, die man hier manchmal noch spüren kann wie kaum an einem anderen Ort in Europa. Was denken Sie beim Malen? Wenn ich male, denke ich nicht. Denken muß man vorher. Wenn ich, während ich male, überlege, wird das Bild schlecht. Ich kann keine gerade Linie machen, wenn ich denke, daß ich eine gerade Linie mache. Ich muß, ehe ich anfange zu malen, absolut frei sein von fixierten Vorstellungen. Ich weiß nur, ob ich heiter bin oder ob ich traurig bin. Darum mache ich niemals Entwürfe. Ich fange mit einem geraden Strich an und der Rest kommt von selbst. Wenn ich Entwürfe mache, wird das Bild eine Wiederholung von dem, was ich schon gemacht habe, und wenn ich es ins Bild übertrage, geht vielleicht das Beste verloren, die erste Intention. Es ist gut, wenn die Fehler in dem Bild verarbeitet werden, dann spürt man den Prozeß. Ein Bild ist ein Prozeß. Sie haben vorhin gesagt, es gibt immer etwas zu lernen. Was ist das letzte, was Sie gelernt haben? Viele kleine Dinge, die vielleicht für andere nicht von Bedeutung sind. Das wichtigste, was ich lerne, ist mit dem Tod umzugehen. Das ist sehr schwer für mich, weil ich gerne lebe. Aber es ist ganz wichtig, auch für meine Bilder. Deswegen müssen die Bilder nicht traurig werden. Bilder haben immer etwas mit dem Leben und dem Tod zu tun, das ist eine Einheit. Nur oberflächliche Bilder haben nichts damit zu tun. Erinnern Sie sich, wann Sie wußten, daß Sie Maler werden wollten? Ich habe einen Lehrer gehabt, einen Freund, als ich 18 Jahre alt war. Er war Käthe-Kollwitz-Schüler, er gehörte zum Widerstand gegen Hitler und starb ganz früh. Er hat einen Holzschnitt-Zyklus über "Guernica" gemacht. Das Geld, das er dafür bekam, wurde gesammelt für die Kinder von Guernica. Er, Reinhard Schmidhagen, hat mich sehr stark beeinflußt. Von ihm habe ich gelernt, daß Bilder eine Kraft sind. Mein zweiter Lehrer war Willi Baumeister, vier Jahre lang. Er hat zu uns gesagt, das Wichtigste ist, euch zu leeren, um neu anfangen zu können. Wir haben viel über Form und Inhalt geredet. Was sind Ihre Träume? Ich träume von einem Land, in dem es nur einen Garten gibt, wo ich mit vielen jungen Leuten zusammen lebe. Aber das sind schon wieder Wünsche. Glücklich bist Du erst, wenn Du keine Wünsche mehr hast, sagt mein Sohn zu mir. Vielleicht muß man nicht mehr malen, wenn man ganz glücklich ist. Was haben Sie mit anderen Malern gemeinsam? Es gibt Punkte der Gemeinsamkeit, aber es hängt davon ab, wie und was jeder lebt. Wenn die Leben nicht gemeinsame Punkte haben, haben es auch die Bilder nicht. Jedes Leben ist ein Leben für sich. Alle Bilder sind verschieden, wenn sie ehrlich sind, wenn sie die Wahrheit jedes einzelnen ausdrücken. (4) Micus, Katalog, Goethe Institut Brüssel, 1983;
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